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Bitterfotze & Co.: Vulgär-LiteraturBis die Seiten triefen

DONNERSTAG, 26.02.2009

In Gummistiefeln sind wir durch Charlotte Roches "Feuchtgebiete" gewatet. Die Flut an morastiger Literatur kommt aber noch. Vorerst ist kein Land in Sicht!

Charlotte Roche mag mit ihren analen Genauigkeiten verstört haben. Die Autorin Maria Sveland tut es allein mit dem Titel ihres schwedischen Bestsellers: "Bitterfotze". Überraschenderweise ist die Protagonistin Sara nicht frustriert, weil sie unbefriedigt ist, sondern weil sie sich das weltweite Patriarchat vor Augen führt.

Statistik der Geschlechter-Ungerechtigkeit

Saras "bitterfotzige Statistik" führt einige Beweise für die Ungerechtigkeiten an. Unter Punkt drei heißt es zum Beispiel: "Eine soziologische Untersuchung hat gezeigt, dass verheiratete Frauen öfter psychisch krank sind als unverheiratete. Bei den Männern ist es jedoch umgekehrt: Unverheiratete Männer haben öfter psychische Probleme, während es den verheirateten ausgezeichnet ging. Die Ehe hilft den Männern und schadet Frauen." Und zwar so weit, dass Sara schon ein schlechtes Gewissen plagt, wenn sie ihren Sohn nur für eine Woche zurücklässt, und - obwohl sie verheiratet ist - alleine in den Urlaub fährt.

Skandinavische Melancholie

Sveland zeigt, dass eine Frau auch in der schwedischen Vorzeige-Gesellschaft als Raben-Mutter gilt, wenn sie ihre eigenen Bedürfnisse für kurze Zeit über die ihrer Familie stellt. Einige Episoden nehmen den Leser mit in Saras Kindheit. Feine, einfühlsame Momente von skandinavischer Melancholie, die Mosaiksteine für Saras Psychogramm liefern und ehrliches Interesse an der Protagonistin wecken.

Unterbrechung mit Ekel-Jargon

Und dann, so scheint es, erinnert sich die Autorin Sveland leider wieder an das "Bitterfotzige" - daran, dass der angesagte Jargon gerade vulgär ist. Wunden können nicht nur "tief", sondern müssen auch "eitrig" sein, und wenn es eine Farbe zu beschreiben gibt, dann bitte "Pimmelrosa". Der Roman braucht diese ordinären Infusionen gar nicht. Das Buch erzählt eine packende Geschichte von einer jungen Frau, die keinen Hehl aus ihrem Unglück macht: unzufrieden als Ehefrau und unerfüllt als Mutter. Sveland beweist Mut zur Wut über die Rolle der Frau und die Nicht-Gleichberechtigung mit dem Mann - auch in einer westlich demokratischen Gesellschaft.

Im Fahrwasser der "Feuchtgebiete"

Obwohl Sveland weder über Geschlechtsteile sinniert, noch das Sexualleben ihrer Protagonistin Sara in den Vordergrund schreibt, schwimmt die Autorin im Fahrwasser der "Feuchtgebiete". Svelands Verlag KiWi hat den Bestseller von Charlotte Roche abgelehnt und den Mega-Erfolg dem Konkurrenten DuMont überlassen. Jetzt will KiWi mit "Bitterfotze" an den "Frauen-Sprechen-Offen-Über-Etwas"-Erfolg von Roche anknüpfen.

Muss das sein?

Ist dieses "Vagina, Penis und Anal"-Extra ein Trend in der Frauenliteratur? Oder geben hier die Verlage diesen Kurs vor, um die Verkaufszahlen anzukurbeln? Die frische Erotik-Buchreihe ANAIS von Schwarzkopf & Schwarzkopf wirbt damit, dass ihre jungen Autorinnen unverkrampft und unverzerrt über Sex schreiben. Jedoch nicht pornografisch!

Nur Tabubrüche wecken Aufmerksamkeit

Intelligente Erotik-Romane sind aber keine Neuheit. Auch nicht, wenn Frauen sie schreiben. Ein Tabubruch dagegen ist immer wieder neu. Und den haben Sveland und Roche gemeinsam. Und vielleicht auch die 18-jährige Rebecca Martin mit ihrem Bestseller und Schulmädchen-Report "Frühling und so". Die freizügigen Ergüsse sind es, die den Autorinnen den großen Erfolg verschaffen.

Brauchen die Leser Vulgäres?

Hoffentlich avancieren anale Offenbahrungen und Kraftausdrücke trotzdem nicht zu einer Standardformel für Popliteratur. Sveland zumindest hätte dieses Extra nicht nötig gehabt. Aber vielleicht haben wir Leser es ja. In "Fleckenteufel", dessen Buchcover dem von "Feuchtgebiete" peinlich ähnlich sieht, inszeniert Heinz Strunk einen männlichen After und das pubertäre Erleben seines 17-jährigen Besitzers auf einer "Kirchenfreizeit". Die Roche-Adaption hat sich in den ersten Wochen bereits 20.000 Mal verkauft.

Anne Probst




Linktipp: Miss Tilly
"Eine Einladung, erneut durch Feuchtgebiete zu paddeln, ist es nicht – auch wenn der Titel so klingt", schreibt Gabriela Häfner von der fem.com-Partnerseite Miss Tilly. Hier finden Sie dieRezension .




>> "Bitterfotze" von Maria Sveland ist im Kiepenheuer & Witsch Verlag erschienen und kostet 8,95 Euro, bestellbar z.B. über www.amazon.de.